Wenn es so einfach wäre, wär’ es nicht so schön

Was können Gedichte nicht alles enthalten, ja, ja. Die Fragen unserer LeserInnen veranlassen uns zu einigen Erklärungen.

Das Gedicht gibt sich scherzhaft, schon mit seinem fröhlichen Titel, „Tirili, tirila“. Und doch oder deshalb, schon in der ersten Zeile fallen Sprechen und Sprache (die aus- oder aufgeschriebene) auseinander. Miguel, (sprich mi_gel), ist die romanische Variante des germanischen Michels. In der dritten Zeile wird diese Variation auf den i_gel zurück übertragen und macht damit deutlich, dass Sprache und Sprechen in mehr als einer Richtung auseinanderfallen.

Diese zweifache Problematik verpackt das Gedicht in einen Kreuzreim, der im anderen Part eine Verwandlung thematisiert; die von Hase und Igel. Die Geschichte ist bekannt, blinder Eifer, gepaart mit Arroganz des einen und Aus- und Zuschau haltende Beharrlichkeit der anderen. Vorgreifend auf den Schluss des Gedichtes weisen wir darauf hin, dass die Rückverwandlung in den Eifer, der sich dort aber weder als blinder noch als arroganter präsentieren kann, ihrerseits im Paarreim auftritt (Reimschema: ABABCCDDEE FFBB). Damit zeigt die Form, dass und wie Inhalt bedeutsam ist/wird.

Nun also, trotz der mit dem Titel angesagten Fröhlichkeit macht das Gedicht von Beginn an stutzig. Als deutsches Gedicht greift es auf einen anderssprachigen Namen zurück. Das scheue Wild, bekannt aus Kreuzworträtseln mit regelmäßig drei Buchstaben, wird überraschend zum Hasen, sogar zum hübschen Hasen; was Assoziationen an Playboy-Bunnys hervorrufen mag. Darum geht es also, zumal im mittleren der drei folgenden Paarreime auch noch das Wort Vögeln vorkommt. Doch bevor wir das Thema damit abhaken, wendet der Dichter dieses in sein Gegenteil, was eindeutig als Kunstgriff und vielleicht als etwas mutwillig zu werten ist.

Doch was ist das Gegenteil von einem Hasen der ja, überraschender Weise, schon kein Reh ist? Das funktioniert nur über sprachliches Allgemeingut, hier eben die Geschichte vom Hasen und Igel. Damit ist das Gedicht thematisch wieder offen und wir müssen weiter lesen, vielleicht sogar noch mal von vorne anfangen, um zu erfahren, worum es eigentlich geht.

Ach ja, um Sprechen und Sprache, dann aber auch um die Freiheit des Verhaltens (frei zu spielen, los zu fliegen), der Wahl der eigenen Verfassung (Schmusekätzchen) wie des gesellschaftlichen Anschlusses (Fluchttiere, sich einigelnde sowie Zwitschertierchen) und des immer auch möglichen Eigen- und Alleinseins (wenn niemand mitfliegen mag).

Das ist und klingt nach vielen Unabhängigkeiten, doch der letzte Paarreim zeigt, die eigenen Vorstellungen sind nicht so frei und das Individuum von ihnen nicht so unabhängig wie gedacht (oh), sondern kehren zur wahrgenommenen Welt (hübscher Hase) zurück. Und zwar genau an der Stelle (Nase), die durchaus phallische Konnotationen hat, die andererseits (in der Nähe von Igeln) aber auch sehr gefährdet ist. Selbstverständlich geht es den flüchtenden und sich einigelnden Lebewesen in ihren individuellen Situationen wahrscheinlich nicht besser.

Das Schmusekätzchen ist also gut beraten, den hübschen Hasen nicht zum Igeln zu verschrecken. Das weiß es, das kann es und das sagt es dem Hasen auch. Denn gemeinsames Fliegen gelingt ja nur in beiderseitger Freiheit. Einerseits, denn das Schmusekätzchen weiß auch von anderen Tieren als Hasen und Igeln, andererseits.

So wird nachträglich klar, warum Sprache und Sprechen, Welt und Vorstellung als Auftakt des Gedichtes kreuzgereimt daherkommen; stellenweise verwoben und doch unterschiedlich ausgehend. Deshalb ein weiterer lyrischer Versuch, das Tirili-Gedicht erläuternd sogar selbst zu verstehen.

Es ist ein Gedicht

vom Laufen und Laufen lassen,
vom Fliegen und Liebend-anfassen,
vom woanders Hingehen
und Zusammenstehen
von Freiheit
und Zärtlichkeit,
vom Tirilein
und Bezogen-sein,
von Verwandlungen hin und her
in tosendem Sehnsuchtsmeer
von Wünschen und Trieben,
von Herzen zu Lieben,
das verschlüsselt spricht;
es ist ein Gedicht.
Stenkamp #

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Tirirallala

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